UNGEGENSTÄNDLICHKEIT
P E N S É E S
„In meinem verzweifelten Bemühen, die Kunst vom Ballast der gegenständlichen Welt zu befreien, floh ich zur Form des Quadrats,“ sagte Kasimir Malewitsch, als er 1915 sein Schwarzes Quadrat auf weißem Grund in der Ausstellung 0,10 in Petrograd der Welt zeigte und dabei auf ganz viel Empörung und Widerstand stieß. Als „totes Quadrat“, als „personifiziertes Nichts“ wurde dieses erste Werk des Malewitsch’en Suprematismus beschimpft – jener von ihm begründeten Stilrichtung, die Farbe und Form sowie die „reine Empfindung” in den Vordergrund stellte. Aber was als Ausdruck des Tadels gemeint war, kann auch als Lob gelesen werden: Es ging Malewitsch ja tatsächlich darum, ein Nichts zu schaffen. Und auch die Zuschreibung „tot“ kann als Tabubruch verstanden werden.
Entklassifizierung ist der Keim aller Möglichkeiten.
KASIMIR MALEWITSCHWarum wollte Malewitsch, dieser wichtigste Vertreter der russischen Avantgarde, weg von den Gegenständen? Was ließ ihn an ihnen verzweifeln? Dass sie vorgaben, Abbild der Wirklichkeit zu sein und es niemals sein konnten? Dass sie dem Betrachter also gewissermaßen ins Gesicht logen? „Kunst ist kein Abbild der realen Welt. Eine ist [...] mehr als genug,“ sagte die Schriftstellerin Virginia Woolf. „Der Finger, der auf den Mond zeigt, ist nicht der Mond,“ so eine alte Zen-Weisheit. „Das ist keine Pfeife,“ schrieb der surrealistische Maler René Magritte unter das Bild einer Pfeife – denn es war ja auch keine Pfeife, die man rauchen konnte, sondern nur ein Bild davon. Genauso wenig kann man in das Wort Brunnen hineinfallen. „Die Welt als Empfindung der Idee, unabhängig vom Bild – das ist der wesentliche Inhalt der Kunst. Das Quadrat ist nicht das Bild. So, wie der Schalter und der Stecker auch nicht der Strom sind,“ so Malewitsch weiter.
Der Maler wollte alles reduzieren auf die reine Kreation, denn sie gab nicht vor, etwas Anderes zu sein, sie war in dem Sinne leer und konnte von jenem gefüllt werden, der sich mit ihr auseinandersetzte. „Entklassifizierung ist der Keim aller Möglichkeiten“ – das war seine Überzeugung. Die reine Kreation fördert also Kreativität, und daraus kann etwas Neues in jemand anderem entstehen. Sie ist offen und öffnet selber Türen, sie sprengt Grenzen und zeigt andere Perspektiven auf. Beschleunigt sie Veränderung? Nimmt sie Angst vor dem Anderen, Fremden? Macht sie Menschen auf?
HIER FINDEN SIE UNS AUCH
WEITERE ESSAYS, PENSÉES UND IMPRESSIONEN

PENSÉES: STÖRENFRIEDE
Eine Philosophie der Störenfriede: über Egozentriker, selbst inszenierende Exzentriker und Zerstörer bis zu den HeldInnen an den Schwellen einer Ordnung, die sie erschüttern und an den Grenzen eines Systems, das schon längt hätte hinterfragt werden müssen.

PENSÉES: DAS INDIVIDUELLE, DAS ANTI-UNIVERSELLE
Über offene Gesellschaften und ihre Feinde, über ein statisches, zum Stillstand verurteiltes Universelles, das Individuelle als Voraussetzung der Pluralität und dem „erfinderischen Zwischen“.

AUS DEM CHAOS GEBOREN, IN FORM ÜBERSETZT
An der einen Wand hängt unser „Baumwoll-Gebirge“, an der anderen Bilder – alles Kreationen von Designerin Stefanie Hofer. Unterhalb des antiken Gewölbes: dicke Holzäste, die den Showroom überblicken. Hier und da Wabi-Sabi-Leinwände mit schwarzer Patina und getrocknete, glänzende Silberblätter – das von der Chaostheorie inspirierte Interior ist eine Welt für sich. Bewohnt wird diese neue Welt von sorgfältig kuratierten, neuen DesignerInnen-Unikaten, eigensinnigen Artefakten, die wir Ihnen hier präsentieren möchten.