Norbert Trawöger ist ein bunter Vogel, der gerne Schwarz trägt. Er ist künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz, Flötist, künstlerischer Leiter der ersten oberösterreichischen Kulturexpo 2024, Lehrer, Autor und Vater.
Anlässlich zum 200-jährigen Jubiläum von Anton Bruckner haben wir für ihn einen maßgeschneiderten Anzug kreiert und gefertigt. Im Interview spricht er unter anderem über Staunen und Kleidung, Dranbleiben und Zweifeln, Bruckner und Langeweile sowie dem Potenzial von Unverfügbarem, die Welt zu retten.
Norbert Trawöger im Interview mit eigensinnig wien
Norbert, würdest du dich als eigensinnig bezeichnen?
Mit der Eigenbetrachtung ist es schwierig, aber ich hab durchaus viel Sinn für Sinnliches, hab mich immer für den Kunstbereich und den Bereich des Menschlichen interessiert. Im Sinne eines ausgeprägten Individualismus bin ich unbedingt eigensinnig, würde ich sagen. |
Braucht die Welt mehr Eigensinnige?
Da bin ich mir ganz sicher. Also, in dem Sinne, dass man eine Leidenschaft entdeckt, die einen erfüllt, dass man dranbleibt in aller Konsequenz und damit die Welt und sein Leben mitzugestalten. Das halte ich für sehr wesentlich. Überhaupt eine Leidenschaft zu finden ist etwas Wunderschönes. Es hat mit Glück und Möglichkeiten zu tun und mit der Frage, wo man aufgewachsen ist. Ich habe ein Bewusstsein dafür, dass ich in einem Resonanzraum aufgewachsen bin, der nicht selbstverständlich ist. Mir ist bewusst, dass wir hier in Österreich in einem Logenplatz des Weltgeschehens leben. Und als Musikerkind, das ich bin, war sogar die Musik immer da. In diesem Sinn würde ich mir wünschen, dass es viel mehr eigensinnige Menschen gibt, die in ihrem Feuer, ihrer Begeisterung sind. Die Begeisterung ist eine menschliche Kraft, die uns zusammenbringt, die Empathie bringt, die ansteckt. Es ist eine mächtige Kraft. |
Die Begeisterung ist eine menschliche Kraft, die uns zusammenbringt, die Empathie bringt, die ansteckt. Es ist eine mächtige Kraft.
Du bist heute gekleidet in einem Anzug von eigensinnig wien – wie habt ihr zueinander gefunden, du und eigensinnig wien?Die Frau meines Vaters ist mal im siebten Bezirk drübergestolpert und hat gesagt, wir müssten da unbedingt hin. Meine Frau und ich sind sofort hingegangen. Und da war schon beim Ankommen diese Atmosphäre. Wie man empfangen wird, wie man wahrgenommen wird, wie die Räume sind. Und natürlich hat uns auch die Kleidung begeistert. Dass wir wiederkehren, war klar. Es ist ein starker Geist spürbar, es sind starke, sich immer wieder wandelnde Produkte. |
Wir bei eigensinnig wien haben einen Anton Bruckner Anzug für dich kreiert und maßgeschneidert. Wie fühlt es sich an, Bruckner so nah an dich ranzulassen?
Seine Musik hat mich schon als Achtjähriger ergriffen und ist mir ganz nahe. Ihn jetzt auf der Haut zu tragen, noch dazu in einem genialen, einzigartigen Design von eigensinnig ist ein Traum, der nicht nur bei mir große Begeisterung auslöst. |
Welchen Stellenwert hat Kleidung allgemein für dich?
Kleidung ist wichtig, weil sie zum einen für bestimmte Situationen in Stimmung und in Haltung bringt. Es ist ein gutes Gefühl, in Dingen gekleidet zu sein, die die eigene Individualität unterstreichen, ausdrücken. Mit dem, was man trägt, übereinzustimmen. Wenn du als Musiker ein Konzert spielst, hast du dich an einem bestimmten Ort in einen Habit zu bringen, in eine Uniform zu begeben, hochzufahren mit deiner Körperhaltung – obwohl ich gerade in der Klassik, vor allem im Publikum, für einen offenen Dresscode bin. Man muss sich nicht immer sackeln und hochtoupieren, es geht ums Ereignis an sich und da ist es mir dann auch recht, wenn wer mit einer Jeans ins Konzert kommt. |
Norbert Trawöger spielt, gestaltet, schreibt und spricht heißt es auf deiner Website. Du hast also sehr viele Funktionen inne. Du bist der künstlerische Direktor des Bruckner Orchester Linz, Flötist, künstlerischer Leiter der ersten oberösterreichischen Kulturexpo 2024, Lehrer, Autor und Vater. Was verbindet alle diese Rollen miteinander?
Leidenschaft, Neugierde und keine Scheu zu haben, Dinge zu probieren und Chancen zu ergreifen. Es klingt fast danach, als würde ich Funktionen sammeln. Dieses Portfolio ist aber ein Riesen-Strauß an Aggregatzuständen, die sich einfach ergeben haben. Im Zentrum steht natürlich die Kunst, die Musik, nicht nur sie zu spielen, sondern auch darüber zu reden, Formate zu gestalten, zu kuratieren und zu organisieren. Immer aus einer Begeisterung heraus und aus einer körperlichen Disziplin, die Dinge dann auch wirklich zu ergreifen, sich ergreifen zu lassen und dranzubleiben. Das ist unglaublich viel Knochenarbeit, aber auch viel Freude. Meine Tage sind lang, ich weiß, wie viel man oft einsetzen muss, um etwas zustande zu bringen, um sich zu vernetzen. Da sind viele Momente des Zweifels und der Verzweiflung dabei. Aber ich liebe auch den Zweifel. Das ist ein Motor, dranzubleiben und zu überprüfen, ob das, was man macht, noch stimmt. Zu überprüfen, wie man sich entwickeln kann, um einen eigensinnigen Weg zu finden, um die Aufgaben zu lösen und zu erfüllen. Ich möchte mich bis zum letzten Atemzug entwickeln und verwandeln, und deshalb ist auch Bruckner ein sehr großes Thema in meinem Leben. |
Ich möchte mich bis zum letzten Atemzug entwickeln und verwandeln, und deshalb ist auch Bruckner ein sehr großes Thema in meinem Leben.
Wie hast du zu Bruckner gefunden?
Abgesehen von der Musik berührt er mich als Figur sehr stark. Kein Wunderkind zu sein, aber eine Begabung zu haben, die zu ergreifen, und zwar oft unter widrigen Umständen, mit wenig Resonanz, mit großen Misserfolgen dranzubleiben, sich freizulegen, Stück für Stück. Mit 60 den ersten wirklich großen Erfolg zu haben und dann im nächsten Moment schon wieder zu scheitern. Mich interessiert diese Figur nicht nur in ihrer Biografie, sondern in diesem Dranbleiben, in dieser Entwicklung und Resilienz. Bruckner wusste, wo sein Herz brennt – und dem folgte er. Mit viel Disziplin, viel Arbeit, viel Ausliefern, sicher vielen schlaflosen Nächten. |
Warum ist es so wichtig, Dinge auszuprobieren?
Ich wage zu sagen, dass mich auszeichnet, meinen Neigungen und Leidenschaften mit Beharrlichkeit und Konsequenz zu widmen. Ich habe sogar eine gewisse Sturheit, Dinge auszuprobieren, die mich ansprechen, auch wenn ich mir nicht sicher bin. Eines Tages wurde ich von einem Musiktheaterkollektiv angesprochen, ob ich mitspielen will. Ich hab nie vorher Theater gespielt, aber mich hat das interessiert. Wenn Anfragen kommen, bei denen eine gewisse Nervosität und Unsicherheit in mir aufsteigt, eine Aufgeregtheit, eine Erregtheit über die Aufgabe, habe ich mir angewöhnt, sofort ja zu sagen und damit fahr ich eigentlich sehr gut. Vielleicht denke ich ein paar Wochen später, was hast du dir da wieder angetan? Man liefert sich aus, viel Neues zu lernen und sich auf einer Bühne zu zeigen. Es ist in gewisser Weise eine Nacktheit, vor jemanden zu treten, was ich als Musiker natürlich kenne – und wonach man auch ein bisschen hungrig werden kann. |
Kleidung kann etwas in einem sichtbar machen, sie kann eine Art Verstärker sein aber auch ausgleichend wirken. Sie kann überraschen, irritieren, provozieren. Sind das nicht alles Dinge, die sie mit der Musik teilt? Welche Parallelen siehst du zwischen Musik und Mode?
Diese Frage habe ich mir noch nicht gestellt, aber ich finde es faszinierend, darüber nachzudenken. Kleidung hüllt uns ein, gibt uns Schutz, macht uns sicher, macht etwas sichtbar. Sie kuschelt sich an die Haut, ist uns sehr nahe, berührt uns und drückt vieles aus – so wie die Musik. Ich werde hellhörig, wenn jemand sagt: Ich bin unmusikalisch. Es gibt keine unmusikalischen Menschen! Jeder hört Musik, selbst Gehörlose hören Musik über die Haut. Vielleicht kann einer bestimmte Tonhöhen nicht singen, aber Musik, das Hörbare verbindet uns. Im Hörbaren gehören wir zueinander, man denke nur an das Wort Zusammengehörigkeit. Dann gibt es auch die Negativseite, den Gehorsam, also das Gehörigsein. Es gibt das Voneinander-Hören, das hat auch zu tun mit einem Klang, einer Geräuschkulisse. Es beruhigt vielleicht, im Nachbarzimmer jemanden zu hören, aber nicht zu sehen. Das Gefühl zu haben, da ist wer. Oder auch, es stört wer, weil er zu laut ist. Bis hin zur Musik, die uns in Stimmung versetzt. Es gibt ja nichts Flüchtigeres als Musik, darin unterscheidet sich vielleicht die Mode von der Musik. Kleidung lege ich ab und ziehe ich an, dazwischen wasche ich sie. Musik bringt uns in eine gewisse Stimmung, regt uns auf oder umhüllt uns einfach ganz nebenbei, weil es gut ist, dass irgendwas im Raum ist, weil es angenehm ist. Dann gibt es die totale Hingabe des Zuhörens, eine unglaublich aktive Tätigkeit, wo der ganze Körper involviert ist. Und natürlich ist die Musik im engeren Sinn mein täglicher Erfahrungsraum. Da gibt es viele Parallelen. |
Was ist das Wunderbare an der Musik?
Ich halte es für ein unglaubliches Wunder, dass wir Menschen zusammenkommen und zusammen spielen. Dieser Akt des Zusammenkommens ist ja ein Urakt. Die Urmenschen haben rund um das Lagerfeuer Steine geklopft, gesungen und getrommelt, sie haben aus Ästen Flöten gebaut. Musik wird nie fad, es gibt immer was zu entdecken, auch wenn ich ein Stück hunderte Male gehört oder gespielt hab. Musik bringt mich immer wieder ins Staunen. Staunen ist ein menschlicher Vorgang, der nicht gespielt, nicht hergestellt werden kann. Es gibt kein falsches Staunen im richtigen Leben, entweder du staunst oder man merkt, es ist gemacht. Viele andere Zustände kann ich spielen und im Erspielen sogar bis zu einem gewissen Grad empfinden, beim Staunen geht das nicht. |
Liegt im Staunen auch eine gewisse Unverfügbarkeit?
Bei der Unverfügbarkeit, einem Begriff, der von Hartmut Rosa kommt, geht es unter anderem darum, überrascht zu werden. Über den Schnee, der fällt, zu staunen. Ich hab das einmal erlebt, als ich in Göteborg studiert habe. Da war ein Brasilianer, der mit 40 zum ersten Mal in seinem Leben Schnee gesehen hat. Ein heiliger Moment! Gerade in diesem Unverfügbaren, in dem, was nicht geplant werden kann, was nicht kalkulierbar ist, ist das Urmenschliche spürbar. Das ist das, wo der Geist sich ausbreitet, wo sich Rührung ausbreitet oder auch Irritation. Ich hab auch nichts gegen Irritation, wenn mich etwas anekelt oder beschäftigt. Auch ein Musikstück kann ich unerträglich finden und es lässt mich deswegen vielleicht nicht los, es geht mir zu Herzen. Diese Inkubationszeit, diesen Irritations-Moment find ich ganz kostbar. Dieses Unverfügbare ist schon etwas, was die Welt retten könnte, wo wir uns hineinretten könnten. Ein Bewusstsein zu haben für Momente des Staunens, die nicht zu planen sind. |
Es gibt kein falsches Staunen im richtigen Leben.
Dein letztes Buch nennt sich Spiel. Darin beschreibst du Spiel als „Selbstvergessenheit, Versunkenheit, innere wie äußere Bewegtheit, einen Möglichkeitszustand. Spielen ist ernst, aber nimmt sich nicht ernst.“ Kann auch das Spielen die Welt ein wenig besser machen?
Ich denke schon. Der Spielbegriff ist ein unfassbar großer mit vielen Facetten. Ich ziele auf das Spielen ab, das wir alle mitbringen, wenn wir als Kinder spielerisch die Welt entdecken. Wenn wir krabbeln und greifen lernen, Stunden mit einem Blatt Papier verbringen können, ohne irgendetwas anderes zu brauchen – und zwar aus einer intrinsischen Gestaltungsnotwendigkeit, aus einem Bedürfnis heraus, einer Entdecker- und Entdeckerinnenlust, die jedem Menschen zugrunde liegt. Man betritt einen Raum des Nutzlosen und Zweckfreien, wird von etwas erfüllt. Als Musiker muss man mit viel Disziplin wie ein Hochleistungssportler trainieren, dass etwas spielerisch wird, dass man etwas mit Handumdrehen macht, mit einer Leichtigkeit. Es geht darum, Virtuosität zu erlangen. Als Flötenspieler, der ich ja bin, ist es meine zentrale Urmission, mich zu treffen und übertreffen, wenn ich die Flöte zur Hand nehme, was in diesen Tagen leider sehr rar ist; ich muss mir dann immer Inseln schaffen, um heimzukehren. Aber auch meine Kinder zu beobachten, wie sie Zugang haben zu dieser Zauber-, dieser Staunwelt mit all den Möglichkeiten, die da drin sind. Ich glaube, um wirkliche Probleme und Herausforderungen wie die Klimakrise lösen zu können, müssen wir in das Spielfeld der Forschung, der Möglichkeiten, der individuellen Sinn-Entwicklung hinein. Vor allem, weil wir uns dabei spüren. |
Spielen ist eine Tätigkeit. Ist das Nichtstun nicht auch wichtig?
Ein Geschwisterbegriff zum Spielen ist die Langeweile. Die Langeweile halte ich für was ganz Zentrales. Sich auszuliefern, nicht zu wissen, herumzustreunen, in Gedanken zu sein, fad zu sein und im nächsten Moment etwas anzufangen oder nicht anzufangen, also faul zu sein. Das ist etwas, was ich noch lernen möchte in meinem Leben. Bewegung wird oft zu einer Getriebenheit, deshalb nehme ich mir vor, das Nichtstun wirklich zu lernen. |
Stefan Zweig hat gesagt: auch die Pause gehört zu Musik.
Genau, ohne Pause gibt’s keine Musik. Der Moment des Verklingens, der Moment vor dem Anfangen, das sind die magischen Momente, wo Stille ist. Stille heißt nicht schalltoter Raum, es kann Stille in sich sein, Nachhall, Nachklingen. |
Sie suchen einen außergewöhnlichen, maßgeschneiderten Anzug?
In unserer hauseigenen Maßschneiderei designen und fertigen wir unkonventionelle Kleidung für eigensinnige Menschen. Unsere Kreativität kenn keine Grenzen. Und Ihr Mut? |
Lernen Sie unsere Maßschneiderei kennen
Black Curtain
So nennt sich unsere Portraitreihe, in der wir eigensinnige Persönlichkeiten vor den Vorhang holen. Menschen, die mit uns verbunden sind und die Avantgarde Mode von eigensinnig wien in die Welt tragen. Oft in Form von maßgeschneiderten Kreationen aus dem hauseigenen Atelier. So auch bei Norbert Trawöger, der das Debüt macht.