DIE NEUE FREIHEIT,
UNSER LEISES ERWACHEN
UND DER DUFT DES FRÜHLINGS
E S S A Y
Langsam und klein sind die Schritte in eine neue Normalität, die anders sein wird als jene, die wir kannten. Einer dieser kleinen Schritte ist ein für uns äußerst erfreulicher: Ab Dienstag, dem 14. April 2020, sind wir wieder für Sie da; die Pforten unseres Showrooms öffnen sich wieder. An unserem historischen, schönen, ruhigen St. Ulrichs Platz, an dem schon lange Frühling ist und ausnahmsweise auch Masken und Desinfektionsmittel für Sie bereitstehen. Stefanie wird Sie wieder persönlich beraten und Toni wird Ihnen, wie sonst auch, Kaffee oder Wein servieren – oder vielleicht sogar beides.
Wenn Sie in unseren Online Shop bestellen und in Wien zuhause sind, bringt Ihnen der Fahrradbote Ihre auserwählten Unikate innerhalb von 3 Stunden; in Österreich und Europa gilt die Express-Lieferung innerhalb eines Tages.
WIR SIND WIEDER DA, ABER ANDERS
Es ist kein lauter Neuanfang in übertriebener Heiterkeit, kein phönixhafter Aufstieg aus der Asche. Es ist eher eine langsame, demütige und leise Rückkehr in einen Alltag, von dem wir noch nicht wissen, wie er sich und uns gestalten wird. Wir wissen nicht, wie sich die letzten Wochen in die Zukunft hineinverlängern werden, was übrig bleibt von dem Guten, das sich herauskristallisiert hat – die Solidarität, das Sichtbarwerden der SystemerhalterInnen, der Wert der Freiheit.
Wie lange noch werden sich die Länder der Welt innerhalb der eigenen Grenzen zurückziehen? Wann wird Europa wieder als Ganzes spürbar werden? Was wird bleiben? Was wird verschwinden? Was wird sich ändern? Stehen wir am Anfang eines Paradigmenwechsels und sehen es bloß noch nicht?
Das Leben besteht nicht nur aus Orgasmen und Handlungen, die diese vorbereiten.
JÜRGEN HABERMASDIE WANDLUNG DER SPRACHE
Die letzten Wochen waren und sind Wochen der Abwesenheiten, Einschränkungen und Entbehrungen. Der Philosoph Jürgen Habermas sagte einmal: „Das Leben besteht nicht nur aus Orgasmen und Handlungen, die diese vorbereiten.“ Das war uns vielleicht vorher auch schon bewusst, aber jetzt spüren wir erst richtig, was damit gemeint sein könnte.
Wir erleben eine Renaissance der Kriegsrhetorik: Man spricht vom „unsichtbaren Feind, den wir nur gemeinsam bekämpfen können“ und von Isolation und Quarantäne. Vergleiche zum Zweiten Weltkrieg überraschen uns schon lange nicht mehr. Vom „Rausch des Ausnahmezustands“ ist die Rede, der sich durch „Blut, Schweiß und Tränen“ charakterisiert und uns alle zu unfreiwilligen KriegerInnen gegen das Virus mit der Krone macht.
Selbstverständlichkeiten sind nun Verbote, die bis in die tiefsten Schichten der Grundrechte reichen: Von einen Tag auf den anderen durften wir keine Freunde und Verwandte mehr sehen, mussten geplante Reisen absagen, unsere Geschäfte, Cafés und Restaurants schließen und blieben zurück mit existenziellen Fragen und zu viel Zeit – zumindest viele von uns. Andere wiederum mussten und müssen fast Übermenschliches leisten, damit nicht alles in sich zusammenbricht.
Verstehen kann man das Leben rückwärts; leben muss man es aber vorwärts.
SØREN KIERKEGAARDDIE UNIFORMITÄT DER TAGE
„Jeder Idiot kann eine Krise meistern; es ist der Alltag, der uns zermürbt,“ schrieb der Schriftsteller Anton Tschechow und sprach damit die existenzielle Leere in einem Leben ohne Höhen und Tiefen an. Ein Leben, von dem wir uns immer mehr erwarten als dass es uns geben kann. Aber auch die Krise bekommt einen Alltag, wenn sie länger andauert. Für viele von uns ist es eine Zeit der Gleichförmigkeit in einem scharf begrenzten Rahmen, der wenig Spielraum lässt. Wir sind mehr fremd- als selbstbestimmt, die Tage ähneln sich mehr als sonst in ihrem Ablauf, das Zeitgefühl ist anders, das Verzichten-Müssen auf Begegnungen und Rituale wie dem Zeitunglesen im Kaffeehaus, dem Essengehen, dem Theaterbesuch hat vermutlich Spuren in uns hinterlassen, die wir noch nicht einordnen können.
„Rituale (…) verwandeln das In-der-Welt-Sein in ein Zu-Hause-Sein. Sie machen aus der Welt einen verlässlichen Ort. Sie sind in der Zeit das, was im Raum eine Wohnung ist. Sie machen die Zeit bewohnbar. Ja, sie machen sie begehbar wie ein Haus“, schrieb der Philosoph Byung-Chul Han. Die Welt ist kein verlässlicher Ort mehr. Dafür machen wir unsere eigenen vier Wände bewohnbarer, vielleicht durch neue Rituale. Unsere Wohnungen, Häuser – sie sind und bleiben Orte, die wir gestalten können. Orte, an denen wir keine Masken tragen müssen. Zumindest keine Schutzmasken.
„Verstehen kann man das Leben rückwärts; leben muss man es aber vorwärts,“ schrieb Søren Kierkegaard. Welche Narben werden verspätet nach Aufmerksamkeit verlangen? Man weiß es nicht. Aber man spürt, dass die letzten Wochen zu Wenden geführt haben, deren Wesen noch im Nebel liegt. Was haben die letzten Wochen mit uns gemacht? Was werden wir aus ihnen machen? Welche Überraschungen sind versteckt in ihnen?
Den Weg ins Unbekannte, Ungewisse und Unsichere mit Vernunft planen - nicht für die Sicherheit, sondern für die Freiheit.
SIR KARL POPPER AUFBRÜCHE: DIE AUSDEHNUNG
DES SELBST
Trotz dieser zur Normalität gewordenen Gleichförmigkeit bricht aber langsam etwas auf, und dieser Aufbruch ist zu spüren. Nicht nur in der frischen Frühlingsluft, auf dem blauen, stillen, flugzeuglosen Himmel, den knallbunten Wiesen voller neuer, sprießender Blumen, den Kirsch- und Magnolienbäumen, die nun „aus der Haut fahren“ (Wilhelm Busch), aufblühen und duften, als müssten sie sich damit beeilen.
Auch viele von uns fahren aus der Haut, wenn es auch leise geschieht und mit großem Respekt. Das Grundgefühl ist aber sonnig, offen und zuversichtlich, es fühlt sich nach „I’m still standing“ von Elton John an oder nach „Don’t stop me now“ von Queen. Der Frühling macht Lust auf eine Ausdehnung des Selbst, das sich beizeiten eingeschränkt gefühlt hat inmitten all der Vorschriften und Verbote. Man darf diese ruhig hinterfragen und anzweifeln, bevor man sich entscheidet, sie zu befolgen.
Jedes andere Gefühl als das Grenzenlose ist sinnlos.
ROBERT MUSILDas Wachsam-Bleiben ist essentiell so wie der Einsatz des Verstands, um nicht zu mit der Masse wandelnden Herdentieren zu werden: „Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen“, hat Immanuel Kant einst gesagt. Es wird Zeit, wieder nach vorne zu blicken, „den Weg ins Unbekannte, Ungewisse und Unsichere mit Vernunft zu planen – nicht für die Sicherheit, sondern auch für die Freiheit“, wie Sir Karl Popper es ausgedrückt hat. Trotz des omnipräsenten Sicherheitsabstands denken wir nun in Richtung Freiheit und Autonomie.
Wir verfolgen Pläne trotz der Einschränkungen. Wir lassen uns treiben in Welten der Fantasie. Wir denken nicht mehr dystopisch, sondern verlieren uns in Utopien, und das fühlt sich gut an. Das fühlt sich nach Frühling, Aufbruch, Zukunft, frischer Luft und Sonne an. Das fühlt sich nach den Worten des Schriftstellers Robert Musil an: „Jedes andere Gefühl als das Grenzenlose ist sinnlos“.
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