25. Oktober 2022
ANFANG GUT, ALLES GUT.
WIR SIND OHNE ENDE
Eine kurze Geschichte
Wie soll man Kunst in Ordnung bringen? Hm... Wir versuchen hier die letzten zehn Jahre eigensinnig zu betrachten und wissen eigentlich: Ordnung braucht eine neue Definition. Denn jedes Ende ist ein Anfang, jeder Anfang steht am Ende einer vergangenen Phase, jede Antwort führt zu neuen Fragen.
Wussten Sie? Das griechische Semikolon kann auch als Fragezeichen verstanden werden, darum folgen wir unserer Intuition zwischen 0; und I;, zwischen Ende und Anfang. Zehn Jahre, das sind zehn ereignisreiche Kapitel einer eigensinnigen Geschichte:
0;I KAMPF GEGEN DIE SONNE
Am Anfang denken wir noch wie alle denken, Hauptsache gesehen werden, warum nicht gleich mitten in Wiens prominentem Modezentrum? Kollektionen sind bestellt, Möbel in Auftrag gegeben, Showrooms werden im Kopf, auf Papier und an den Wänden skizziert. Es muss einfach entstehen. Dieser Anfang ist sogleich das Ende des Allerdenkens: Unsere Vorstellungen vom 6. Bezirk platzen, ein anderer bezieht den Standort, wir fangen neu an.
0;II ANFANG GUT, ALLES GUT...
Das eigensinnig ist weder rund noch eckig, wird zum Mittelpunkt für Eigensinnige, die nicht in Schubladen denken. Im Dialog wird kreiert und ausgestellt. Fotogalerien und Vernissagen zwischen Designerbrands. Das sichere Dutzendleben ist vorüber, wir gehen endlich unserem eigenen Dunkel nach. Zwischen Subkultur und matter Hochkultur halten wir die Zeit an und verlassen den Weg der Meisten. Eigensinn macht Spaß; Hesse sollte damit Recht behalten.
0;III GLÜCKLICHSEIN MACHT FAUL
Unser künstlerisches Forum für Mode, Fotografie, Handwerk und Kunst läuft vielleicht zu gut: Schleifen lassen, zurücklehnen. Alles sieht unsterblich aus. Kein Wunder, dass ich ganz staubig bin, bemerkt der Zeitreisende in Sieg über die Sonne, und auch wir fühlen uns eine Zeit lang völlig zeitlos. Vor unwahrscheinlicher Leichtigkeit wissen wir nicht, was wir tun sollen, darum warten wir auf etwas Außergewöhnliches im Außergewöhnlichen. eigensinn panta rhei – wir versuchen, zweimal in denselben Fluss zu steigen und verlieren uns langsam, aber unmerklich.
0;IV WIR BLICKEN ZURÜCK, UM VORANZUKOMMEN
Das kreative Potential in den hohen Gemäuern lässt sich durch kleine Löcher erahnen. Wir schöpfen neuen Atem und geben Ideen Gestalt, die lange in uns lauerten. eigensinnig wird zur Unität; der Showroom wird zum Kreativhaus, wir sperren den Zufall in ein Haus und Ideen sind wieder Notwendigkeiten. Das innere Pendel weist klar in eine Richtung: Eigene Ideen manifestieren sich endlich zu etwas Greifbarem, die modische Gestalt des eigensinnig formt sich. Wir beginnen, Gedachtes zu zeichnen, Gezeichnetes zu schaffen; eigensinnige Mode ist unaufhaltsam.
"I WAS WAITING FOR
SOMETHING EXTRAORDINARY
TO HAPPEN BUT [...]
NOTHING EVER DID
UNLESS I CAUSED IT."
CHARLES BUKOWSKI
0;V DER ZWEITE ATEM
Die Anziehungskraft des eigensinnig macht sich selbstständig: Unser kreatives Konglomerat wächst, wir brauchen mehr Menschen und mehr Köpfe. Ein Team entsteht; ein Atelier entsteht. Unsere Ideen überschlagen sich, das eigensinnig sendet mit jedem Impuls tausend weitere Impulse nach draußen. Wir schaffen einen Kosmos zum Ausprobieren, Scheitern und Verändern, um dann Neues auszuprobieren. Blind folgen wir der antifragilen Schaffenskraft, die uns bisher im Kampf gegen die Sonne half.
eigensinnig auf der Paris Fashion Week. Eindrücke führen zu Fragen, führen zu Kreationen, aus 0 wird I; wird 0; wird II. Wir ziehen unser Ding durch, Spaß muss es machen.
Schon bald ist das Atelier zu klein, es scheint einfach zu viel Sonne hier drin, unsere Vorstellungen brauchen mehr Raum. Wir reißen alles ab und bauen es neu, so oft wie es sein muss, bis wir endlich atmen können. Im neuen Atelier bekommen wir endlich Luft. Puh!
0;VI BLACK SWAN
Einen schwarzen Schwan gibt es nur solange nicht, bis einer ihn findet. Mit unberechenbaren Katastrophen lässt sich eben nicht rechnen. Unter der Oberfläche im Kreativhaus lösen sich kaum wahrnehmbare Vibrationen, die erst entdeckt werden, als schon Dinge zu Bruch gegangen sind. Toni und Stefanie gehen getrennte Wege.
Wir üben uns in der Kunst des Scheiterns und balancieren auf einem schmalen Grat zwischen 0 und ; – wie viel Ballast erträgt das Schaffen? Toni bleibt eigensinnig; als Belohnung des Künstlers bezeichnet Ernest Hemingway das. Ich bin mit dem eigensinnig noch nicht fertig – und wenn die Sonne dagegen wäre.
0;VII DAS ENDE DER LINEAREN ZEIT
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde... Wie Franz Kafka träumen wir von mehr und verwirklichen das Mehr. Das eigensinnig ist wie ein Atomkern im permanenten Zustand zwischen Zerfall und Entstehung. 0 ist I ist ; Wir lassen die Sporen, denn es gibt keine Sporen. Wir werfen die Zügel weg, denn es gibt keine Zügel. Ohne Kopf und ohne Hals reiten wir durch die Polykrisen der Zeit, zwischen Covid und Autolyse; zwischen Destruktion und ihren kreativen Früchten.
0;VIII AVANTGARDE IST UNENTRINNBAR
Die erste der sieben Einsamkeiten des Zarathustra ist das Schweigen vor großen Gedanken. Leere füllt das eigensinnig aus und bildet ein Vakuum, beinahe entwischt uns jede Energie. Impulse bleiben fern, wir kehren uns nach innen wie der Rest der Welt, warten vor verschlossenen Türen und werden ganz staubig. Erdrückend leere Räume führen nach vorn und zurück zugleich, eine Quantenverschränkung von Sonne und Dunkelheit im Atelier. Kein Dialog findet statt und unsere großen Gedanken schauen höchstens mal durch ihre Masken ins Schaufenster.
Wir stehen in der Mitte, am Ende und am Anfang – Notwendigkeit statt Zufall. Handwerk, Kunst, Philosophie, Psychologie und Musik führen uns immer wieder spiralförmig zur eigensinnigen Mode. Inspiriert von Dynamiken zwischen den Denkarten reift eine Wahrheit: Das eigensinnig ist unentrinnbar.
Ach, auch dieses Ende ist ein neuer Anfang. Stillstand führt zu Tatendrang, das eigensinnig muss sich neu erfinden. Wieder einmal. Innen und außen wird alles ausgehöhlt, kein Stein bleibt auf dem anderen. Neue Eigensinnige befüllen die Räume, während neuer Raum für neue Ideen entsteht. eigensinnig 0;I. Schwarze und schwärzere Schwäne werfen ihre Schatten, in denen wir die Sonne neu entzünden.
0;IX SCHWARZ ALSO - WIDER DIE WELT
Der Sieg über die Sonne ist schwarz: Schwarz bestimmt unser Denken und wird zum Ankerpunkt der eigensinnigen Kunst. Schwarze Avantgarde Mode aus unserem Haus entwickelt ihre eigene Persönlichkeit und wird mit drei ockerfarbenen Streifen ausgezeichnet. Die neuen Eigensinnigen erkennen das Schöne in der Destruktion und bewegen sich auch sonst wieder wider die Norm. Im neuen Atelier mit neuem Team rauchen Zigaretten und Köpfe, um Unkonventionelles zu schaffen.
Wir wissen, dass nicht alles gut wird. Aber wir werden einen Weg finden. Wie immer.
0;X WIR SIND OHNE ENDE
Schwarz wird das eigensinnig auch in Zukunft bestimmen – wir entwickeln uns zu einem eigenständigen künstlerischen Sonnensystem und schöpfen Eigensinnigkeit aus eigenen scheinbar unvergänglichen Energiequellen. Unser Haus soll mit unseren Ideen ausgefüllt werden, aus allen Nähten überquellen.
Im ständigen Streit mit dem eigenen Ich hat das eigensinnig seine glokale Identität gefunden und sich selbst immer wieder neu erschaffen. Wir gehen von Wien über Paris in die Welt und konzentrieren uns doch weiter auf den eigensinnigen Sankt-Ulrichs-Platz. 10 Jahre also, und jede Idee fühlt sich an wie ein Neuanfang, der notwendigerweise entstehen muss. Kreieren, Experimentieren, Grenzen überschreiten – tu, was du willst, sei das einzige Gesetz, und wir finden es herrlich. Lasst die Krisen ruhig kommen, wir bewältigen sie; wir widerlegen sie; wir kehren Schatten zu Licht und Licht zu Schatten, aus 0 wird I; wird 0; wird Neues; wird 0.
„Anfang gut, alles gut. Wir sind ohne Ende.“ – aus Sieg über die Sonne
Text: Laura Bruning | www.gorillaverlag.com & Toni Woldrich | www.eigensinnig-wien.com
Fotografie: Silvia Max | www.eigensinnig-wien.com
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