Störenfriede

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P E N S É E S

Als Puer Robustus bezeichnet der Philosoph Dieter Thomä den Störenfried: „der kräftige Knabe, der auf eigene Faust handelt, sich nicht an die Regeln hält, der aneckt, aufbegehrt und auch mal zuschlägt.“ Es gibt ihn in vielen Facetten – als nur aufs eigene Wohl bedachte Egozentriker, als nur sich selbst inszenierender Exzentriker („enfant terrible“), als gestörter Zerstörer, der nur eine andere Ordnung erzwingen will und dabei alles zerschlägt. „Man is [...] a misfit from the start“, schrieb schon der Schriftsteller Ralph Waldo Emerson.

Störenfriede können aber auch, oder vor allem, Helden und Heldinnen sein. Ohne sie hätte es den Arabischen Frühling nicht gegeben. Ohne sie wäre der Gezi-Park in Istanbul nicht zum Synonym für den Bürgerprotest gegen das Regime Erdogans geworden. Und wer erinnert sich nicht an den Tank Man, jenen unbekannten Rebellen, der sich 1989 während des Massakers am Tian’anmen-Platz in China mit seinen zwei Einkaufstüten vor einen Panzer stellte, der langsam auf ihn zurollte?

 

Wir stören die Normalität, damit der Alarm jeden erreicht.

LU YEN ROLOFF

In eine ganz andere Kategorie fallen Störenfriede wie Harvey Weinstein. Störenfriede, die eine Ordnung – in diesem Falle das Patriarchat – aufrechterhalten wollen, in der die Unterdrückung der Frau nicht nur nicht hinterfragt, sondern gutgeheißen wird. Und auch wenn es sich falsch anfühlt, zu versuchen, diesem „Skandal“ etwas Gutes abzugewinnen, so lässt sich nicht leugnen, dass er weltweit #Metoo-Wellen geschlagen hat – irgendwann kommt der Moment, in dem sich Empörung, Scham und Schweigen in Protest, Stärke und Taten wandeln. In eine vielfach potenzierte Bewusstseinsbildung, eine glücklicherweise nicht enden wollende Debatte, die andererseits im Jahr 2019 schon längst kein Thema mehr sein sollte.

Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute.

GRETA THUNBERG

Auf Frauen geht Thomä in seiner Beschäftigung mit den Störenfrieden leider fast gar nicht ein, darum denken wir sie mit. Ganz unabhängig vom Geschlecht handelt es sich bei ihnen, so der Philosoph, um Schwellenwesen.

Die guten, heldenhaften unter ihnen halten sich ständig an den Schwellen einer Ordnung auf, die sie erschüttern, an den Grenzen eines Systems, das schon längst hätte hinterfragt werden müssen. Und somit rütteln sie all jene auf, die es sich in dieser Ordnung bequem gemacht haben. „Wir stören die Normalität, damit der Alarm jeden erreicht,“ sagt die Journalistin und Klima-Aktivistin Lu Yen Roloff. Sie wecken auf, schreien andere aus ihrer Lethargie, zwingen hinzusehen und hinunterzusehen, in die eigenen Abgründe. Wegschauen, das geht dann nicht mehr. Und Regeln nicht mehr zu brechen, auch das geht dann nicht mehr – deshalb gilt das Schlusswort „Puella Robusta“ Greta Thunberg: „Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute.“

Literaturempfehlung:

- Dieter Thomä: Puer Robustus – Eine Philosophie des Störenfrieds
- Jean Genet - Notre-Dame des Fleurs

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