Luxus - Seltsamkeiten mit Seltenheitswert

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Blog-Beitrag zum Thema Luxus als radikaler Individualismus mit Seltsamkeiten mit Seltenheitswert

Seltsamkeiten mit Seltenheitswert als Luxusprinzip für einen radikalen Individualismus

An der Tür hat man mich bereits etliche Minuten im Regen warten lassen. Luxus kostet Lebenszeit, dachten sich wohl auch die Teenager, die mit mir vor der Tür standen. Meine Vorfreude steigt. Endlich geht das Glasportal auf. Ich betrete das Geschäft. Und dann? - Handtaschen! In allen Farben. In Reihe und Glied. Wohin der Blick reicht. Austauschbar und seelenlos. Mit goldenem Glitzer übersprühte Mittelmäßigkeit, das nur schreit: Kauf! Jetzt! Schnell! Und denk bloß nicht nach!

‚Objets animés‘ und die Kultur des Einzigartigen

Ich plädiere für eine Rückbesinnung auf Kreativität und echtes Handwerk. Hin zu beseelten Objekten – objets animés – die jenseits der Masse entstehen. Ikonisch und außergewöhnlich sollen sie sein. Qualitätsvoll und originell, voller Persönlichkeit und Geist. Unikate, die zum Nachdenken anregen. Kunstvolles, das angeeignet wird und nicht flüchtig konsumiert wird.

Diese Kultur des Einzigartigen manifestiert sich in zeitlosen Produkten, deren Originalität sie unverwechselbar macht –unabhängig von kurzlebigen Trends. Hier liegt Luxus nicht darin, dass alle hinschauen, sondern dass nur jene hinblicken, die dies bewusst wollen. Es geht nicht um auffälliges Zur-Schau-Stellen, sondern um das bewusste und bedachte Hinschauen, um das Entdecken verborgener Details.

Gerade hier sollen Unikate überraschen: in einer durchstandardisierten, verwässerten Welt. Sie stellen sich nicht bloß auf eine Bühne, sondern öffnen stille Räume der Inspiration und Reflexion. Jedes dieser produktgewordenen Artefakte birgt eine subtile Herausforderung: eine leise Provokation mit Charakter, die erst bei genauem Betrachten offenbart wird. Es sind Seltsamkeiten mit Seltenheitswert, deren größter Luxus ihre vollkommene Einmaligkeit und ihr Mut zur Andersartigkeit ist. Sie erzählen Geschichten – ganz still und kraftvoll zugleich.

Radikaler Individualismus als Luxusprinzip

Weniger konfektionierter Individualismus. Weniger lineares Denken. Ein rein effizient getriebener Zeitgeist ist prädestiniert dafür, echte Individualität zu verdecken und in geordnete Bahnen der Uniformität zu lenken. Diese Art von Homogenität erscheint einfach, nachvollziehbar, bequem zu leben. Sie weckt keine Zweifel, sie stellt keine Fragen.

Das Experiment dagegen fordert Mut, Offenheit und geistige Beweglichkeit. Die bewusste Andersartigkeit widersetzt sich Kategorisierungen. Sie provoziert bewusst und erzeugt Reibung. Sie ruft nach Erfahrungen, Begegnungen und neuen Perspektiven.

Genau deshalb ist Individualismus – radikal, rebellisch und ungezähmt – zu einem seltenen und kostbaren Gut geworden. Oder wie Lambert Wiesing es formuliert: „Der wahre Luxus ist ein fantastischer Dadaismus: eine Revolte des unbürgerlich Unangepassten gegen Üblichkeiten, gegen Anstand und insbesondere gegen spießige Normvorstellungen.“

Der wahre Luxus, so könnte man ergänzen, verbündet sich mit jener Andersartigkeit, die irritiert und inspiriert zugleich. Er lebt dort, wo Konventionen gebrochen und Sicherheiten aufgegeben werden, um Raum für Unerwartetes zu schaffen. Ein Luxus, der Freiraum lässt und fordert, neue Gedankenwege zu wagen – und der sich nie in vorgegebenen Dimensionen erschöpfen lässt.

Geistvolle Schönheit – Ästhetik mit Tiefe

Intellektuelle Tiefe und kultivierte Raffinesse waren von jeher essenzielle Bestandteile des wahren Luxus. Die kreative Übersetzung von Gedankenwelten und Sinnlichkeit in ästhetisch erfahrbare Produkte verdient wieder deutlich mehr Aufmerksamkeit und Raum in unserem Luxusverständnis.

Ich verlasse das Geschäft wieder durch dasselbe gläserne Tor, trete hinaus aus der künstlich glänzenden Kuliss. Im Zurücklassen des grellen Scheins, in der stillen Abkehr von inszenierter Mittelmäßigkeit wird deutlich: Wahrer Luxus entsteht erst in jenen Momenten, in denen wir innehalten und reflektieren – vielleicht sogar stolpern und staunen über das Ungewöhnliche. Er zeigt sich im leisen Abweichen von normierten Erwartungen, in der inneren Zwiesprache mit Objekten, die nicht auf schnelle Zustimmung hoffen, sondern uns herausfordern. Es sind genau diese Seltsamkeiten, die uns nachhaltig bereichern, inspirieren und im besten Wortsinn eigensinnig prägen.

Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung im Wirtschaftsmagazin Forbes Austria Ausgabe 4-2025.

 

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