E S S A Y
Seit letztem Sommer ist alles anders an unserem eigensinnigen Ort: Bühnengleich verhält sich unser Showroom inmitten der geschichtstragenden Mauern. Nach unserem Debutprogramm ‚virtù & volupté’ folgt nun die zweite Themenwelt, in die sich das eigensinnig wien ab Februar hüllt. Als Pate diente uns dabei in erster Linie die Chaostheorie mit ihrem Schmetterlingseffekt – „der Flügelschlag eines Schmetterlings kann am anderen Ende der Welt einen Tornado auslösen.“ Anders ausgedrückt: Eine unbedeutend wirkende Kleinigkeit kann weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Das gilt für Phänomene und Systeme aller Art – und so auch für den Kreationsprozess, in dem wir uns ständig befinden und der in unsere eigensinnigen Kollektionen mündet.
WENN AUS DEM CHAOS HERAUS NEUES ENTSTEHT: ÜBER DIE ARBEIT IM OVERSIZE-KORSETT
„Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können,“ schrieb Friedrich Nietzsche in ‚Also sprach Zarathustra’. Auf ein gewisses Maß Chaos lassen wir uns im Kreationsprozess bewusst ein. Unsere Kollektionen entstehen nicht im Labor unter kontrollierten Bedingungen, sondern im Atelier unseres jahrhundertealten Hauses, wo die unsichtbaren Charakteristika des Ortes und der Materialien mit jenen unserer Gedanken und Handlungen atmosphärisch verschmelzen. Dabei denken und agieren wir innerhalb eines weit gesteckten Rahmens, denn ganz ohne Grenzen verschluckt Kreativität sich an sich selbst.
Als Oversize-Korsett könnte man den virtuellen Raum beschreiben, in den wir uns begeben, um Neues zu erschaffen. Auch dort schwirren unbekannte Faktoren herum, die manchmal zu unerwarteten Ergebnissen führen – wir lieben es, zu experimentieren und uns selber sowie andere dabei zu überraschen, ganz im Sinne von Søren Kierkegaards Worten „Verstehen kann man das Leben rückwärts, leben muss man es aber vorwärts.“ Weil wir unsere Unikate alle von Hand fertigen, ist das Ergebnis sowieso jedes Mal ein anderes – und somit einzigartig; ein eigensinniges, aus dem Chaos geborenes und in Form und Ordnung übersetztes Artefakt.
Als Oversize-Korsett könnte man den virtuellen Raum beschreiben, in den wir uns begeben, um Neues zu erschaffen.
DAS NEUE INTERIOR: INSPIRIERT VON DEN ALPEN, OLIVENBÄUMEN UND SILBERPFLANZEN
Aus dem Chaos heraus und ohne das Ergebnis erahnen zu können, entstanden auch die handgefertigten Kunstwerke, die zwischen den hängenden Stangen und Regalen ihre subtile Präsenz entfalten. Es sind einerseits Gebirgszüge-artige Gebilde, hergestellt aus Baumwolle, die wir punktuell in schwarzen Tee und Kaffee getränkt, mit Erde eingerieben, mit Feuer gebrannt und mit Acryl fixiert haben. Die permanenten ‚Falten‘, die sich so gebildet haben, imitieren eine Gebirgsstruktur. Es sind andererseits Kartons, die wir eingespachtelt, schwarz bemalt und anschließend mit Rissen überzogen haben – so entstand eine Patina in Wabi-Sabi-Ästhetik.
Außerdem findet man hier und da getrocknete, glänzende Silberblätter in Ellipsenform, Holzwurzeln und -bretter vom Olivenbaum sowie einen ‚Rohholz‘-Tisch – natürlich wirkende, rohe Materialien, deren Schönheit sich gerade in ihrer Unregelmäßigkeit und Unperfektheit offenbart. Sie ergänzen auf ideale Art und Weise unsere neue, eigene Kollektion sowie die frisch eingetroffenen Unikate von Sosnovska, Daniel Andresen & Co.
Natürlich, rohe Materialien, deren Schönheit sich gerade in ihrer Unregelmäßigkeit und Unperfektheit offenbaren.
ETWAS FINDEN, WONACH MAN NICHT GESUCHT HAT?
Die formgewordenen, eigensinnigen Unikate kreieren wir in die Welt hinein, damit sie andere zu jenen machen, die sie immer schon waren. „Werde, der du bist“, hat der griechische Philosoph Pindar vor Jahrhunderten gesagt. Die Bestimmung der Dinge an unserem Ort ist es, Persönlichkeit und Charakter sichtbar zu machen sowie Identität zu verstärken. So wie wir uns auf den Prozess mit den im Raum schwirrenden Unbekannten einlassen, so können es auch jene tun, die zu uns kommen – um, frei nach dem Soziologen Richard Sennett, vielleicht etwas zu finden, wonach man nicht gesucht hat. Etwas, das einen aber findet und auf eigensinnige Art und Weise komplettiert – und so anders in die Welt hinaus wirken lässt, wo Moment für Moment Schmetterlingseffekte passieren können.
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