15. Juli 2022

DER EIGENSINNIGE MANN

Der Versuch einer Vermessung

In seinem jüngsten Roman "Yoga" schreibt der französische Autor Emmanuel Carrère über Menschen, die sich im Schaffensprozess immer gerne vom Prozess selbst leiten lassen: „Je weniger der Film oder das Buch dem gleicht, was sie sich vorgestellt haben, desto länger und eigenwilliger gestaltet sich der Weg zwischen Ausgangs- und Endpunkt, desto mehr überrascht das Ergebnis und desto zufriedener sind sie. Für sie zählt die Reise, nicht das Ziel – oder wie Chögyam Trungpa sagte: ‚Der Weg ist das Ziel.‘"


Was Carrère über Filme und Literatur sagt, lässt sich auf das ganze Leben umlegen. Sich ihm bis zu einem gewissen Grad hinzugeben, auf die Fragen zu reagieren, die es einem stellt und den Weg auf Umwegen lieben zu lernen, kann eine bereichernde Philosophie sein: Man lässt sich gestalten und gestaltet sich durch diese Hingabe selbst. Die so geartete, an der Bewegung und somit Transformation orientierte Selbstgestaltung wird zur lustvollen Aufgabe, zur Selbstaufgabe im positiven Sinn – denn das Einzige, was man dafür aufgeben muss, ist die Illusion der Kontrolle.

"DAS LEBEN SELBST IST ES,
DAS DEM MENSCHEN
FRAGEN STELLT.
ER HAT NICHT ZU FRAGEN,
ER IST VIELMEHR DER
VOM LEBEN HER BEFRAGTE,
DER DEM LEBEN
ZU ANTWORTEN - DAS LEBEN
ZU VER-ANTWORTEN HAT."
VIKTOR FRANKL

WERDE, WER DU BIST

Diese Freude am Wandel, an der Transformation ist etwas, das allen Eigensinnigen gemeinsam ist. Die Veränderung, die mit einer Bewegung durch Zeit (zwangsläufig) und meistens, aber nicht immer!, Raum einhergeht, ist schließlich die einzige Gewissheit. Statt dem Streben nach einem Ziel, an dem man „endlich ankommt“ (eine ebensolche Illusion!), wird der Prozess an sich zum Ziel und das Experiment zur bevorzugten Methode.

 

Eine großartige Möglichkeit, mit der eigenen Identität zu experimentieren und sich selbst zu erforschen, bietet das Medium der Kleidung. Man kann sich seinem Selbst so annähern; herausfinden, wer man sein kann, wenn man will und was in einem angelegt ist. Man kann sich selbst überraschen und vielleicht auch andere. Man kann sich beweisen, dass man über sein aktuelles Selbst, das immer nur Momentaufnahme ist, hinauswachsen, es ausdehnen kann in bisher unbekannte Sphären und Welten. Denn alles fließt, wie schon Heraklit festgestellt hat, und nichts hat Bestand. Diese Übergänge beschreibt die polnische Lyrikerin Wisława Szymborska in folgendem Gedicht so treffend, dass man es körperlich spürt – lautes Vorlesen ist lohnend:

 

DIE DREI SELTSAMSTEN WÖRTER:

"SAG ICH DAS WORT ZUKUNFT,
IST SEINE ERSTE SILBE
BEREITS VERGANGENHEIT.

SAG ICH DAS WORT STILLE,
VERNICHTE ICH SIE.

SAG ICH DAS WORT NICHTS,
SCHAFFE ICH ETWAS,
DAS IN KEINEM NICHTSEIN
RAUM HAT."
WISLAWA SZYMBORSKA

DER EIGENSINNIGE MANN

Eigensinn lässt sich nicht in Schubladen legen und offenbart sich gerne in Zwischenräumen. Einen solchen Raum wollen wir heute wieder öffnen – indem wir auf den kommenden Zentimetern Ihres Bildschirms versuchen, den eigensinnigen Mann zu vermessen. Es handelt sich, wie könnte es anders sein, um einen Versuch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Und anstatt von Geschlechtern sprechen wir ohnehin lieber von Individuen. Wie Sie vermutlich wissen, lassen sich eine Vielzahl von Kleidungsstücken, die Sie bei uns bekommen, von egal welchem Geschlecht tragen. 

Wie schon bei der eigensinnigen Frau und weiblich gelesenen Eigensinnigen gehen wir in Folge von Anteilen aus, die im eigensinnigen Mann angelegt sind und die er je nach Lebensphase und Laune in unterschiedlichen Kombinationen „aktivieren“ kann. Alle Anteile tragen den Wunsch nach Veränderung in sich, die einen mehr, die anderen weniger. Deshalb fließen sie organisch ineinander und wieder auseinander heraus – und bilden das Individuum, das ganz für sich steht und auch immer Teil etwas Größeren ist: Das Große spiegelt sich im Kleinen.

Begleiten Sie uns auf der Suche nach dem, was den eigensinnigen Mann ausmacht.

I. DER ELEGANTE

DAS BEDÜRFNIS NACH STRUKTUR

"EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE."
THOM YORKE

Der elegante Anteil des eigensinnigen Manns schätzt Ordnung und Klarheit; trotz oder vielleicht sogar wegen aller innerlicher und äußerlicher Widersprüchlichkeiten. Er mag den Eindruck von unaufgeregter Stimmigkeit – als würde etwas einrasten oder eine zuvor leicht verschobene Schablone ihren Platz wiederfinden und dabei dieses befriedigende „Jetzt ist es gut“-Gefühl herstellen: Everything in its right place. Der elegante Anteil ist ruhig, sanft und überlegt und nur in minimaler Dosis verspielt. Er mag das Ritual, sich für Anlässe einzukleiden – es gibt ihm Struktur und „macht die Zeit bewohnbar wie ein Haus“ (Byung-Chul Han). Von der Etikette fühlt er sich nicht eingeschränkt; ganz im Gegenteil: er nimmt sich die Freiheit, sie zu interpretieren, ohne sie zu untergraben.

Der Elegante mag es klassisch, daher trägt er gerne ebensolche Sakkos, Hemden und schmale Hosen in vornehmlich Schwarz aus hochwertigen, feinen Materialien wie Leinen oder weicher Baumwolle – Teile, die er gern zu Ensembles zusammenfügt und deren Besonderheiten sich erst beim zweiten Hinsehen durch subtile Details bemerkbar machen.

II. DER UNGESCHLIFFENE

DIE LIEBE ZUM UNVOLLKOMMENEN

"BESSER EIN DIAMANT MIT EINEM FEHLER ALS EIN MAKELLOSER KIESELSTEIN."
KONFUZIUS

Braucht der elegante Anteil des Eigensinnigen ein gewisses Maß an Struktur, so weiß der ungeschliffene Anteil ein gewisses Maß an Chaos zu schätzen. Er ist sich darüber bewusst, dass alles ein Werden ist. Deshalb konzentriert er sich nicht auf ein Ziel, das in der Zukunft liegt, sondern auf einen Weg, der in eine bestimmte Richtung geht – und auch abzweigen darf. Der ungeschliffene Anteil ist ein prozessorientierter, der sich gerne ausprobiert und das, was andere als Fehler bezeichnen, als nötige Schritte zur Selbstwerdung begreift, die nie abgeschlossen ist. Sein Anecken ist bewusst, weil er keine Angst hat vor Fehlern. Das gibt ihm Selbstbewusstsein, das er auch ausstrahlt und mit dem er andere anzieht.

Der Ungeschliffene mag grobe, strukturierte Materialien in Wabi-Sabi-Ästhetik, die Unregelmäßigkeiten in Farbe und Struktur zeigen. Auch Details, die Unvollkommenheit oder Zweifel thematisieren – wie offen gelassene Nähte oder asymmetrische Schnitte – liegen ihm sehr.

III. DER UNKONVENTIONELLE

DIE LUST AM REGELBRUCH

"LERNE DIE REGELN WIE EIN PROFI,
DAMIT DU SIE
WIE EIN KÜNSTLER BRECHEN KANNST."
PABLO PICASSO

Noch mehr als der immer wieder aneckende ungeschliffene Anteil ist der unkonventionelle einer, der Normen und Konventionen mit Freude hinterfragt und dekonstruiert. Er ist aber nicht unangepasst, um aufzufallen und hervorzustechen, sondern nur, wenn er Gründe dafür hat. Seine Unangepasstheit schreit nicht; sie flüstert. Er lehnt Konventionen nicht per se ab, denn er weiß auch um ihre potenziell wohltuende Wirkung im Sinne von Sicherheit. Aber er ist geübt darin, die wohltuenden von jenen zu unterscheiden, die einengen wie ein zu fest geschnürtes Korsett.

In der Kleidung mag der Unkonventionelle subtile Details. Er schätzt es, wenn klassische Elemente auf experimentellere treffen – schwarze T-Shirts mit unkonventioneller Schnittführung, elegant geschnittene Sakkos mit Kapuze, schwarze Hosen mit Hosenbeinen, die sich in der Länge variieren lassen, weite Hosen mit tiefem Schritt.

IV. DER EXZESSIVE

DIE NEU-GIER NACH TRANSFORMATION

"DER WEG DER EXZESSE
FÜHRT IN DEN
PALAST DER WEISHEIT."
WILLIAM BLAKE

So wie der unkonventionelle Anteil einer ist, dessen Unangepasstheit flüstert, so wird sie beim exzessiven Anteil laut. Dieser rebellische Anteil des Eigensinnigen liebt es, im Sinne der Avantgarde unbekanntes Terrain zu betreten und „Erster“ zu sein. Er gibt sich nie zufrieden mit dem Status Quo, ist rastlos bis in die tiefsten Schichten seines Seins und bringt diese Rastlosigkeit auch zum Ausdruck. Er saugt alles auf, was ihn bewegt, ist gierig nach Neuem (neu-gierig!), und ständig unterwegs, ob mit anderen oder allein. Er überrascht und will überrascht werden, ist laut, wild, expressiv. Einnehmend, unbeherrscht, freiheitsliebend.

Der Exzessive mag extravagante, experimentelle Schnitte und spezielle Stoffe, die auffallen und manchmal auch provozieren. So trägt er gerne Haremshosen, Jumpsuits, Unisex-Oberteile oder Schuhe mit offenen Schnürsenkeln.

V. DER GELASSENE

DAS TALENT, SICH NICHT AUS DER RUHE BRINGEN ZU LASSEN

"ALLES FLIESST."
HERAKLIT

Der gelassene Anteil des Eigensinnigen ist einer, der in sich ruht und kein Bedürfnis nach „höher, größer, mehr“ verspürt – und grenzt sich in dieser Ruhe vom Sturm ab, den der exzessive Anteil repräsentiert. Er ist zufrieden mit dem, was er hat und was er ist und macht sich keine Gedanken über Dinge, die er nicht ändern kann. Insofern ist er eine Art moderner Stoiker, der mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht, ohne sich zu sehr vom Außen vereinnahmen zu lassen. Passiv ist er deshalb keineswegs – denn er kann unterscheiden zwischen allem, was er beeinflussen kann und dem anderen, das außerhalb seiner Macht steht.

Der Gelassene mag legere, bequeme, fließende Kleidung, die auch oversized sein darf aus Materialien, die sich so gut anfühlen wie die Lieblings-Jogginghose. Auffällige Muster oder Schnitte sind weniger seins als schlichte, aber dennoch hochwertige und langlebige Kleidungsstücke, die sich vielfältig kombinieren lassen und zu den unterschiedlichsten Anlässen getragen werden können.

VI. DER MINIMALISTISCHE

DIE SEHNSUCHT NACH REDUKTION

"SIMPLICITY IS
THE ULTIMATE SOPHISTICATION."
LEONARDO DA VINCI

Der minimalistische Anteil ist in seiner Fokussiertheit noch extremer als der gelassene. Er setzt in allen Lebensbereichen auf Understatement und konzentriert sich bewusst auf das, was er als wesentlich empfindet – ganz im Sinne des chinesischen Philosophen Laotse: „Das Aussortieren des Unwesentlichen ist der Kern aller Lebensweisheit.“ Er sucht stets nach dem Einfachen (nicht nach dem Banalen!), denn darin liegt für ihn die größte Raffinesse. So lenkt er ab von Äußerlichkeiten und hin zu dem, was ihn im Inneren ausmacht. Und ermutigt so zu einem direkten Dialog ohne großes Abschweifen und Ausschweifen.

Der Minimalistische mag klassische Noten, die sich aber schlichter äußern als beim eleganten Typ; sie dürfen fast schon unauffällig sein. Er bevorzugt leichte und weiche Materialien und versatile sowie funktionale Unikate mit klaren Linien und subtilen Details.


Idee / Konzept: Silvia Max | eigensinnig wien
Text: Martha Miklin | textstuecke.at
Models: Julian & Dario | Stella Models
Fotografie: Toni Woldrich | eigensinnig wien


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